Identitätsorientierte Psychotherapie

Die Identitätsorientierte Psychotraumatherapie ist ein psychotherapeutisches Interventionsverfahren zur Identitätsentwicklung nach Traumatisierungen vor allem im Kontext früher Bindungserfahrungen. Dabei wird im Rahmen einer Aufstellung mit Resonanzgebern oder im Einzel-Setting mit Platzhaltern gearbeitet, welche ausgewählte Aspekte eines Anliegensatzes repräsentieren, den der Klient / die Klientin zuvor thematisiert. In einem selbstbestimmten Prozess wird der Klient / die Klientin in seiner / ihrer inneren Entwicklung unterstützt, in dem gesunde Anteile gestärkt, Überlebensanteile erkannt und schließlich traumatisierte Anteile integriert werden. 

Der Begründer dieser Theorie, Prof. Dr. Franz Ruppert, Diplom-Psychologe, approbierter Psychologischer Psychotherapeut und Professor für Psychologie an der Katholischen Stiftungshochschule München hat die Psychotraumatologie seit 2000 zum Hauptinhalt seiner Lehr- und Forschungstätigkeit gemacht. 
 

Trauma überleben

Im IDC 10 wird unter der medizinischen Kennziffer F43.1 die Posttraumatische Belastungsstörung beschrieben als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Beispiel für Trauma-auslösende Ereignisse sind Naturkatastrophen, Kampfeinsätze, schwere Unfälle, Beobachtungen des gewaltsamen Todes Anderer oder Opfersein von Folter, Terrorismus, Vergewaltigung, Misshandlungen oder anderen Verbrechen. Die mit solchen Außenreizen verbundenen Gefühle, oft Todesängste und Erfahungen äußerster Hilflosigkeit, sind derart überwältigend für den menschlichen Organismus, dass dieser sie ab einer bestimmten Intensität zum Eigenschutz abspaltet. Zurück bleibt ein Mensch, der entweder unter diffuser chronischer innerer Anspannung leidet oder emotional völlig abgeschnitten ist und sich selbst nur noch wenig spürt. Solche Überlebensprogramme laufen unbehandelt oft ein Leben lang weiter, denn ein mehr oder weniger großer innerer Anteil des Menschen steckt wie eingefroren im erlebten Trauma fest, während ein anderer Anteil wirklich alles tut, damit der Mensch möglichste nie mehr mit seinen Trauma-Gefühlen in Kontakt kommen muss. Geschieht dies dennoch, so kommt es oft zu überschießenden und für den Einzelnen kaum kontrollierbaren emotionalen Reaktionen. In der Umgangssprache reden wir davon, dass wir durch etwas "getriggert" werden und unsere Gefühle mit uns durch gehen.
 

Erinnern wir unsere Traumata? 

Was für einen erwachsenen Menschen ein unbewältigter Kriegseinsatz im Außen ist, den er durchaus bewusst erinnern kann, ist für ein Fötus im Mutterleib zum Beispiel ein misslungener Abtreibungsversuch oder für einen Säugling ein schwerer Geburtsprozess. In beiden Fällen gibt es keine bewusste Erinnerung, und doch zeigen sich Trauma-Folgeschäden. 

Was für einen erwachsenen Menschen eine unbewältigte Opfererfahrung darstellt, ist für ein Kind, das in der Tiefe seiner Seele auf Bindung ausgerichtet und angewiesen ist, zum Beispiel eine fehlende Bindungsbeziehung zur Mutter. 

Führende Hirnforscher sind sich schon lange einig, Erfahrungen einer fehlenden Bindung zur Bezugsperson oder gar das Gefühl, abgelehnt zu werden - und wir sprechen hier nicht von direkter Gewalt - können im unausgereiften Nervensystem eines Säuglings oder Kleinkindes ein Gefühl von Todesangst erzeugen, wie sie zum Vergleich ein Erwachsener im Kontext einer Opfererfahrung spürt. Denn wie ein Opfer seinem Täter ausgeliefert ist, so ist jedes Kind in den Anfangsjahren seines Lebens seiner Mutter ausgeliefert, und zwar im Positiven wie auch im Negativen. Nimmt die Mutter eine ablehnende Haltung gegenüber ihrem Kind ein oder ist sie für ihr Kind innerlich ganr nicht verfügbar, so wird diese Situation vom Kind als bedrohlich empfunden. Hält ein solches unbestimmtes Angstgefühl beim Kind schließlich über Wochen, Monate oder gar Jahre an ("Ich bin der Mutter zu viel", "Ich bin nicht gewollt", "Ich werde abgelehnt", "Ich werde nicht gesehen", "Ich werde nicht geliebt"), so kommt es schon im frühen Alter zu einer traumatischen Abspaltung. Nicht gewollt oder nicht gemeint zu sein, ist ein angstbesetztes und zutiefst schmerzhaftes Gefühl, das ein Säugling oder Kleinkind auf Dauer nicht verarbeiten kann. Um zu überleben, greift neben der Abspaltung schließlich noch ein weiterer innerer Bindungsschutz, der bewirkt, dass das Kind alle Schuld an der schmerzlichen Situation auf sich nimmt. Damit ist es ihm möglich, seiner Mutter auch weiterhin zu begegnen. Der damit verbundene Schmerz wird abgespalten, und zurück bleiben oft Scham und Schuldgefühle. "Ich bin schuld, weil ich lebe." "Ich bin schuld, dass ich abgelehnt werde."

 

Ruhig bedeutet nicht gleich Frieden

Wer kennt das nicht? Ein Säugling schreit sich die Kehle aus dem Leib, und plötzlich ist er ruhig, ganz ohne Eingreifen der Mutter, so als hätte er sich von sich heraus wieder beruhigt. Was von Außen dann wie eine harmonische, friedliche Ausgeglichenheit ausschaut, ist in Wahrheit im besten Fall eine innere Resignation, in vielen Fälle aber ein Zustand der inneren Erstarrung nach einer Übererregung, sprich eine traumatische Schock-Starre. Warum? 

Säuglinge können sich aufgrund der noch geringen Hirnreifung nur zu einem ganz geringen Maße selbst regulieren. Weder ihr Orts- noch ihr Zeitgefühl sind hinreichend entwickelt. Das bedeutet, dass 5 Minuten alleine schreien in einem anderen Raum sich anfühlen kann wie 5 Tage langes Todesangst erzeugendes Verlassensein 1.000 km entfernt von der Mutter, die es vielleicht sogar gar nicht mehr gibt. Wenn das Gefühlschaos zu übermächtig wird, schaltet die Psyche ab. Die Trauma-Gefühle werden abgespalten. 

 

Wenn die Antennen immer länger werden 

Jeder Mensch braucht in seinen ersten Jahren nicht nur ein Gegenüber, das ihn materiell nährt und umsorgt, sondern auch jemanden, der ihn innerlich sieht, mit ihm fühlt und ihn in liebevoller Weise spiegelt, Jemand, der seine Gefühle verbalisiert und ihnen einen Platz gibt. "Oh, Du bist aber gerade ziemlich müde, wütend, enttäuscht, traurig, hungrig, übermütig, kuschelig...". Das Bedürfniss nach zwischenmenschlichem Kontakt ist jedem menschlichen Lebewesen angeboren. Kontakt vollzieht sich nicht nur auf der äußeren Ebene durch körperliche Berührung, sondern auch auf einer tiefen inneren Ebene. Gerade Mütter mit Kriegstraumatisierungen waren noch vor wenigen Jahrzehnten aber gar nicht in der Lage, emotional auf ihre Kinder einzugehen. Sie mussten als Kinder lernen, in schweren Zeiten zu funktionieren, und genau das selbe Verhalten erwarteten sie unbewusst von ihren eigenen Kindern. Gefühle ihrer Kinder zu spiegeln hätte für viele von ihnen bedeutet, wieder mit den eigenen, abgespaltenen Gefühlen in Kontakt zu kommen, sprich mit dem eigenen Schmerz, der eigenen Verlassenheit, den eigenen Todesängsten. Authentische Kinder waren und sind für sie kaum aushaltbar, innere Begegnung gefährlich. Deshalb beschränkten viele von ihnen ihre Interaktionen mit ihren Kindern auf das vorbildliche Liefern von Nahrung, Kleidung, Spielsachen und sauberen Wohnraum.

Ohne wirkliches Gegenüber strecken Kinder voller Sehnsucht nach wahrem Gesehen-Werden und innerem Kontakt ihre Fühler, ihre Antennen aus, doch mit ihrer Aufmerksamkeit stets ganz an den Enden ihrer Antennen sind solche Kinder maximal von sich selbst entfernt und können sich und ihre eigenen Bedürfnisse kaum mehr wahrnehmen und spüren. Sie werden nicht wirklicht gespürt, und sich spüren sich selbst nicht mehr. Was sie aber durchaus meist wunderbar wahrnehmen können sind die Bedürfnisse ihrer Mama. 

 

Die schmerzlichen Gefühle als innerer Feind

Geringste Anlässe im Außen können später die frühkindlichen Bindungs-, Verlassenheits- und Todesängste wieder aufflackern lassen, oder auch die unterdrückte kindliche Wut, und das ohne dass der nunmehr erwachsene Mensch mit seinem Verstand eine Chance zur Intervention hätte. So genannte innere Überlebensanteile agieren als treue Helfer, um die Gefahr eines inneren Kontaktes mit den eigenen schmerzlichen Gefühlen so gering wie möglich zu halten. Es wird exzessiv Sport getrieben oder die Freizeit anderweitig vollkommen verplant, um möglichst wenig Gelegenheit zu haben, sich selbst zu spüren. Notfalls muss idie Arbeit herhalten. Was wie der Eifer eines erfolgreichen Geschäftsmannes aussieht, der nicht nur montags bis freitags, sondern sogar am Wochenende arbeitet, ist in Wahrheit eine verkappte Überlebensstrategie. Wer ständig zu arbeiten hat, muss sich nicht mit sich selbst auseinander setzen. Weil die erste Beziehung im Leben nicht wirklich gelang, wird auch keine weitere eingegangen. "Ich bin alleine eigentlich ganz glücklich, ich brauche keinen Partner." Über die Erinnerungen an die Kindheit wird ein rot-goldener Lichtschleier gelegt und die Eltern wie Götzen auf ein Podest gehoben: "Meine Kindheit war wunderbar, ich konnte machen, was ich wollte, niemand war da und hat mir reingeredet. Ich bekam alles, was ich wollte. Meine Eltern sind einfach großartig." Oder an immer denselben Punkten werden Beziehungen fluchtartig verlassen mit Begründungen wie "Das Verhalten meines Partners/meiner Partnerin macht mciht so wütend. Mit so jemandem kann ich mir keine Zukunft vorstellen." Wut ersetzt einen aufflackernden, alten Schmerz, oder eine Angst vor dem erneuten Verlassen-Werden, und geflüchtet wird in Wahrheit nicht vor der Beziehung, sondern vor den eigenen Gefühlen, weil sie kaum auszuhalten sind. Und die eigenen Kinder werden so erzogen, dass sie möglich wenig in uns selbst triggern. Nciht zu laut, niemals wütend, bitte nicht traurig, und am besten ohne großen eigenen Willen. All diese und viele weitere Strategien bewahren uns davor, mit unseren eigenen kindlichen Traumata in Kontakt zu kommen. Der Kreis schliesst sich und die eigenen Traumata werden weitergegeben, Traumaforscher sprechen von multi-generationalen Traumata. Unsere Eltern, wir selbst und auch unsere Kinder zahlen alle den selben großen Preis, wir alle bleiben immer ein Stück weit von uns selbst entfernt beziehungsweise getrennt. 

 

Die Wahrheit macht frei

Sich Stück für Stück der eigenen Wahrheit anzunähern, zum Beispiel durch eine sogenannte IoPT Aufstellung, und zu erforschen "Wie habe ich meine Geburt eigentlich wirklich erlebt?" oder "Wie habe ich meine Kindheit eigentlich wirklich erlebt?" ist zwar ein streckenweit schmerzhafter Prozess, gleichzeitig aber auch ein sehr befreiender. Ein solcher Prozess der Selbstbegegnung führt uns zu uns selbst zurück, verbindet uns auf heilsame Weise mit zurückgelassenen Anteilen und liefert uns wertvolle Einsichten in unsere Gefühls- und Verhaltenswelt. Ohne Verurteilung oder Bewertungen unserer ersten Bezugspersonen legen wir den Fokus auf unser eigenes Erleben und unsere dadurch entstandene Selbstbewertung, rücken letztendlich auch falsche Glaubenssätze gerade und erobern unseren eigenen Gefühlsraum zurück. Hier geht es - im Gegensatz zu einer Familienaufstellung - nicht darum, wie schwer es Vater und Mutter hatten und deren Eltern, sonder wie wir unser eigenes Leben erlebt haben. In der ICH-Begegnung werden wir wieder ganz, bekommen wir wieder Kontakt zu unseren Urbedürfnissen, und erfahren eine völlig neue Liebe gegenüber uns selbst.

 

Der Anliegensatz

Mit einem Anliegensatz fängt alles an, er bildet den Einstieg in die ICH-Arbeit. Er benennt, wo ich stehe, wo ich hin will, wie es mir geht, was ich mir wünsche, was mich gerade bewegt. In manchen Anliegensätzen kommt das Wort "Ich" vor, in manchen nicht. Im Laufe der Arbeit stellt sich meist sehr klar heraus, ob der Anliegensatz  vom Klienten / der Klientin selbst stammt, sprich der eigenen Identität entspringt, oder ob er unbewusst von Mutter oder Vater übernommen wurde. 

Wenn "ich" ein Anliegen äußere, wer spricht da in mir?

Anliegensätze wie "Ich möchte beruflich erfolgreich sein." oder "Ich möchte im Leben ruhiger werden." entpuppen sich dann zum Beispiel als "Vater möchte, dass ich mal erfolgreich werde." oder "Mutter möchte, dass ich ruhiger werde". Je besser wir zwischen uns selbst und dem Außen differenzieren können, umso klarer und auch freier werden wir innerlich. 

Handelt es sich bei dem "Ich" im Anliegensatz tatsächlich um einen eigenen Ich-Anteil, so ist in der Aufstellung zu ergründen, welcher Ich-Anteil sich mit und durch diesen Anliegensatz gerade meldet. Bei einem Anliegensatz wie "Ich will endlich mein Leben genießen." zeigt sich dem Klienten dann unter Umständen ein Ich-Anteil in Form eines Embryos im Mutterleib, der in Wahrheit um sein Überleben kämpft, weil die Mutter ambivalent zur Schwangerschaft steht und vielleicht eine Abtreibung in Betracht zieht. Hier gilt es, in mitfühlender Art und Weise diesem seinen Anteil zu begegnen und seinem inneren Schmerz der Vergangenheit in die Augen zu schauen. Unverarbeitete, abgespaltene Anteile, die sich in der IoPT Aufstellung zeigen, sind durch das erlebte Trauma im ursprünglichen Alter steckengeblieben und können nun durch den Klienten der Gegenwart gefühlt und geachtet schrittweise zur Ruhe kommen und nachreifen. Durch den Anliegensatz kommen wir nicht selten mit eigenen inneren Anteilen in Berührung, die wir nie vermutet hätten. Wir lernen uns selbst besser kennen und verstehen, und vor allem fühlen. 

Auch durch einen oft gewählten Anliegensatz wie "Ich möchte eine harmonische Beziehung eben"  offenbart sich oft ein früher Ich-Anteil, der sich über lange Strecken nach einer wahren Beziehung zu seiner Mutter gesehnt hat, seine vielbeschäftigte oder selbst traumatisierte Mutter ab nie wirklich erreichen konnte. Der fehlende Kontakt der Mutter zu ihrem Kind setzt sich fort in einem fehlenden Kontakt des Klienten / der Klientinnen gegenüber sich selbst. So wie sich die Mutter von damals unseren kindlichen Anteilen von damals gegenüber verhalten hat, so verhält sich der nun Erwachsene gegenüber sich selbst.

 

Durch diese Arbeit haben sich mir die Augen geöffnet in Bezug auf mich selbst

Solche Rückmeldungen zeugen von einem gefühlvollen Aufwachen nach einem intensiven Ich-Begegnungs-Prozess. "Ich schaue nun mit ganz anderen Augen auf mich und kann mich zum ersten Mal wirklich sehen und verstehen." Traumata haben die Tendenz, sich immer wieder zu wiederholen. Der Weg aus der eigenen endlosen Traumaschleife beginnt mit einem achtsamen Hinschauen und Hinfühlen auf unsere Innenwelt, und zwar ohne in den ursprünglichen Traumagefühlen zu versinken. In Bezug auf die Begleitung ist hier viel Fingerspitzengefühl gefragt. Wenn ich mir schließlich selbst eingestehen kann "Ich hatte Todesangst", kann ich jeden Tag alles mir mögliche zu tun, um mich in meiner jetzigen Umgebung wirklich sicher zu fühlen. Aus der ehemaligen Angst erwächst eine Kraft, und aus dem Bewusstsein von Eigenwirksamkeit innerer Frieden.   

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